Romanbeschreibung
Da sind sie wieder – die Taunus-Ermittler. Ihre erste wirklich große Bewährungsprobe führt sie gleich in die Welt der Politik. Genauer gesagt, mitten in eine rechtsextremistische Gruppierung, die sich den Anstrich einer bürgerlichen Partei zu geben versucht. Deren neuer Schatzmeister wurde genauso getäuscht, wie viele ihrer Anhänger. Da wird er ermordet auf einem Waldweg gefunden. Hatte er ihre wahre Gesinnung entdeckt? Oder waren es am Ende doch private Gründe, die zu seinem Tod führten? Ein Fall für die Taunus-Ermittler.
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Leseprobe
Inzwischen war es schon nach achtzehn Uhr, Peter schlief noch immer seinen Rausch aus, und Stefan rollte mit Verenas altem Wagen Bad Homburg entgegen.
Es wird Zeit, dass Verena ein neues Auto bekommt, die alte Kiste läuft lange nicht so gut, wie sie und Peter behaupten, dachte Stefan, als er auf dem Parkplatz zwischen der Endhaltestelle der U 2 und dem Veranstaltungssaal fuhr.
Stefan stellte das Auto auf einem der letzten freien Plätze ab, sah sich um und fragte sich, ob die Fahrer der umstehenden Wagen wohl alle bei der Nazi-Veranstaltung waren.
Dabei fasste er in seine Jackentasche, worin der nur streichholzschachtelgroße, digitale Fotoapparat steckte. Dieses Wunderwerk der Technik, das Peter vor einigen Wochen für einen horrenden Preis erstanden hatte, würde ihnen selbst im Dämmerlicht des Saales, und ganz ohne Blitz und Stativ, gestochen scharfe Fotos liefern.
Während Stefan zu dem Veranstaltungsort ging, dachte er schmunzelnd darüber nach, dass er wohl kaum zu erkennen sein dürfte, so sehr hatte Verena sein Äußeres verändert. Der Maskenfundus in Peters Keller war wirklich phänomenal und hätte so manchem kleinen Theater zur Ehre gereicht. Die dunkle Perücke machte aus ihm, der eigentlich blond war, einen eher südländischen Typ. Dazu passte der Schnauzbart, den Verena ihm verpasst hatte. Die Brille mit den Gläsern aus Fensterglas hielt er inzwischen allerdings eher für störend, wenn nicht gar für gefährlich. Deshalb ließ er sie in der Tasche seines Sakkos verschwinden.
Vor dem Eingang stand ein Gorilla von einem Mann, der mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln prächtig ins Bild passte. Er kontrollierte, wer in den Saal durfte, und hielt Stefan, als er vorbeigehen wollte, ziemlich unsanft an der Jacke fest.
„Na, du bestimmt Italiano. Was du wollen hier?“ , radebrechte der Türsteher, der bestimmt mit allen Ausländern so sprach.
„Nein, ich bin Deutscher und möchte diese Veranstaltung besuchen“, erklärte Stefan, worauf der Koloss meinte:
„Du mir sagen Namen.“
Dem einfach gestrickten Exemplar von Nazi ging erst mit einiger Verspätung auf, dass sein Gegenüber in gutem Deutsch geantwortet hatte.
„Sagen Sie ihren Namen und zeigen Sie mir ihren Ausweis“, schickte er nun hinterher, und Stefan sagte, als sei es das Selbstverständlichste der Welt: „ Ich heiße Waldner, Thomas Waldner. Meinen Ausweis habe ich nicht dabei. Ich konnte ja nicht ahnen, dass man einen Ausweis braucht, um diese Veranstaltung zu besuchen.“
„Ohne kann ich Sie nicht reinlassen.“
„Ich will sofort Ihren Chef sprechen“, schnauzte Stefan den Nazi-Gorilla an, der ziemlich verdattert einen Mann im dunklen Anzug herbeirief: „Hans, komm doch mal schnell her!“
Der Angesprochene kam und fragte: „Was gibt es denn, Lothar?“
Dann sah er Stefan und meinte überraschend freundlich: „Sie haben sich bestimmt in der Veranstaltung geirrt. Der italienische Heimatabend findet nicht hier statt.“
Nun trumpfte Stefan erst richtig auf: „Zum Donnerwetter, mein Name ist Thomas Waldner, und ich bin ebenso wie Sie ein guter Deutscher. Ich hatte mich auf einen angenehmen Abend im Kreise Gleichgesinnter gefreut. Aber was Sie hier…“
„Oh, entschuldigen Sie bitte!“, unterbrach ihn der Vorgesetzte des Türstehers und fasste ihn am Arm. „Aber heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein. Gehen Sie nur hinein.“
So betrat Stefan den proppenvollen Saal und setzte sich auf einen der letzten freien Plätze.
Als sein Nebenmann ihn misstrauisch ansah, meinte er nur: „Guten Abend“, rief den Kellner und bestellte ein Glas Apfelwein.
Während er auf das Getränk wartete, dachte er kurz, wie idiotisch es war, sich ein südländisches Aussehen zu verpassen, wenn man zu einer Nazi-Veranstaltung geht. Aber was hätte er anderes tun sollen? Und so stumpfsinnig, wie die auf sein Äußeres reagierten… Das sprach nicht dafür, dass die mehr Grips als ein Goldhamster hatten… Beleidige doch den armen Goldhamster nicht, hätte Peter jetzt gesagt… Ach scheiße, Peter, warum musst du dich gerade heute besaufen? Mir ist ganz schön mulmig.
Stefan war so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er kaum registrierte, wie der erste Redner das Podium betrat. Erst als der Mann sich laut und vernehmlich räusperte, tauchte Stefan so langsam wieder aus seinem Dämmer auf. Er holte die Digitalkamera, die als Streichholzschachtel getarnt war, aus seiner Jackentasche und legte sie zusammen mit einer Zigarettenpackung auf den Tisch. In der geschlossenen Veranstaltung war Rauchen noch erlaubt.
Hoffentlich war sein Nebenmann Nichtraucher.
„Bitte nicht rauchen, mein Asthma…“, sagte Stefans Nachbar, und dann begann auch schon der Mann auf der Bühne zu sprechen.
„Guten Abend, meine lieben Freunde. Ich möchte auch die unter euch begrüßen, die heute zum ersten Mal gekommen sind, um uns kennenzulernen. Wir wollen heute einen schönen Abend im Kreise Gleichgesinnter verbringen, der nicht durch irgendwelche Spinner und Störer aus den sogenannten antifaschistischen Gruppen beeinträchtigt wird. Diese Leute werfen uns vor, extremistisch zu sein, aber im Grunde sind sie es selbst, denen dieser Anzug passt. Wer unterstützt Verbrecher? Wer fällt denn mit prügelnden Horden, Autonome genannt, über uns her? Na, wer denn?“
„Die Antifa!“, grölte es aus nahezu allen Kehlen zur Bühne hinauf, und der Mann dort oben bestätigte:“ Ganz genau! Aber daran wollen wir heute nicht denken. Heute wollen wir feiern. Dazu haben wir einige unserer führenden Köpfe eingeladen, die euch unser Wahlprogramm für die nächste Bundestagswahl vorstellen. Ich hoffe, wir schaffen es in allen Bundesländern anzutreten, aber selbst wenn nicht, liegt es an euch, meine lieben Kameraden, unseren Auftritt bei dieser Wahl dennoch zum Triumphzug werden zu lassen. Wollt ihr wissen, wie?“
„Ja, ja!“, brüllte der Saal ihm entgegen.
„Ihr müsst nur uns und nicht aus Gewohnheit die etablierten Parteien wählen. Ihr müsst werben für uns bei euren Familien und euren Freunden. Die Stimmung wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Dann werden die anderen am Wahlabend große Augen machen! Wollt ihr das?“
„Ja, ja!“, brüllte es aus annähernd hundert Kehlen zu ihn hinauf, und als das Publikum sich wieder etwas beruhigt hatte, sprach er weiter: „ Je mehr Prozente wir schon bei der nächsten Landtagswahl erringen können, desto besser. Dieses Mal werden wir noch keine zehn Prozent schaffen, aber glaubt es mir, unsere Stunde wird kommen, und dann werden wir mit den Missständen in diesem Land aufräumen. Die anderen Parteien hatten ihre Chance gehabt. Sie haben vor dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und vor allem dem moralischen Verfall der Gesellschaft kapituliert.
Nun sind wir dran, denn es gilt, schlimme Missstände zu beseitigen. Es kann doch nicht sein, dass Schwule und Lesben heiraten und sogar Kinder adoptieren dürfen, Zigeuner… äh, Entschuldigung, Sinti und Roma muss man ja heute sagen…“
Als der Redner sich höhnisch grinsend berichtigte, brach tosendes Gelächter aus den Kehlen der Anwesenden hervor und verebbte erst, als der Mann am Pult um Ruhe bat.
Dann fuhr er fort: „Äh, ja, es kann nicht angehen, dass Sinti und Roma uns ausplündern, Rumänenbanden und Russenmafia unsere Gesellschaft fest im Griff haben, illegale Einwanderer zu Tausenden unser Sozialsystem betrügen, verlotterte Penner uns an jeder Straßenecke anbetteln und Perverse unsere Kinder schänden. Solch eine Gesellschaft wollen wir nicht!“
„Ja, ja, hängt sie alle auf!“, rief einer der anwesenden Zuhörer voll Enthusiasmus dem Redner zu, der abermals grinste und sagte: „Nein, das können wir natürlich nicht tun, denn wir stehen hinter der Verfassung Deutschlands. Aber wir können diese Gangster einsperren, sie wegschließen und nie, nie mehr, ich betone, nie mehr herauslassen. Wir werden sie bei Wasser und Brot auf ewig verrotten lassen!“
Auch wenn der Redner beteuerte, hinter der Verfassung zu stehen: Aus jedem seiner Worte klang mehr als deutlich hervor, dass er das Grundgesetz im besten Falle für Toilettenpapier hielt und das, was der Mann aus dem Publikum gefordert hatte, für die einzig richtige Handlungsweise hielt.
Stefan, der den Mann bereits unauffällig abgelichtet hatte, wurde übel bei so viel Heuchelei, und es wurde auch nicht besser, wenn er daran dachte, wie lange er hier wohl noch ausharren musste.
Kurz darauf trat der Redner ab, und der nächste kam ans Mikrofon. Er war ebenso wie sein Vorgänger in einen Anzug gesteckt worden, in dem er aber im Gegensatz zu diesem eine wirklich miese Figur machte. Auch er beschwor die angeblich deutschen Tugenden Fleiß, Ordnung und Ehrlichkeit und zog bei Weitem nicht so dezent, aber ebenso auf die Verfassung verweisend, über alle Andersdenkenden her. Stefan hörte nicht mehr hin, denn es war kaum noch zu ertragen; nur die Fotos zählten.
Schließlich trat auch dieser Redner unter frenetischem Beifall ab und machte einem dritten und vierten Platz. Die hirnlose Menge im Saal brüllte bei jeder Gelegenheit, und ganz besonders, wenn es gegen Ausländer ging, schien der Saal zu kochen.
Endlich war es soweit. Der Mann vom Anfang, der den ganzen Abend durch das Programm geführt hatte, kündigte den letzten Redner an als eine große Hoffnung für die Zukunft.
Genau in diesem Moment verlor Stefan den Schnauzbart…